Die Sindelfinger Stiftschronik

Edition und Kommentar

Projektmitarbeiterin Jana Paulina Lobe

Kloster Stadt Sindelfingen von schräg oben
Kloster in Sindelfingen

Um 1050 gründete Graf Adalbert II. an seinem Hauptsitz Sindelfingen ein benediktinisches Doppelkloster. Doch schon kurze Zeit später verlegte er die Mönche und Nonnen nach Hirsau und rief stattdessen ein Chorherrenstift ins Leben, für das er auf Teilen seines Herrenhofs die Kirche St. Martin zu errichten begann. Statuten aus dem Jahr 1297 regelten die innere Ordnung des Stifts. Sie wurden 1420 erneuert und erweitert. In der Hauptsache stammten die Kleriker aus dem stiftsnahen Umfeld, dem Bereich Schönbuch und Gäu. In Sindelfingen selbst besaß das Stift vor allem den nördlich an die 1263 gegründete Stadt anschließenden Stiftsbezirk. Die Kirchen zu Weilimdorf (1243), Dilgshausen mit Leonberg (1277), Darmsheim (1342/1426), Dagersheim (1345), Tailfingen (1352), Feuerbach (1396/1421), Neckartailfingen (vor 1421/28), Grötzingen (vor 1435/55) sowie Vaihingen a. d. Fildern (1439) waren dem Stift inkorporiert. In über 30 Orten im Neckar-Schönbuch-Gebiet verfügte es zudem über Güter oder Einkünfte.

Das Stift, dessen Kirche mit dem Patrozinium des Heiligen Martinus das Wahrzeichen der Stadt Sindelfingen ist, war so im 15. Jh. eines der wohlhabendsten im württembergischen Raum, und ab 1442 fiel ihm im Uracher Landesteil vollends eine kirchliche Führungsposition zu. Das mochte Graf Eberhard V. von Württemberg dazu veranlassen, mit der Genehmigung seiner Mutter Mechthild, zu deren Widdum Sindelfingen gehörte, die Verlegung der Propstei, von acht Kanonikaten samt Pfründen sowie von zwei Dritteln der Distributionen an die Tübinger Georgskirche zu betreiben, um damit zur Realisierung seiner Hochschulpläne ein Universitätsstift zu gründen. Aus dem in Sindelfingen verbleibenden Vermögensrest sollte dagegen ein reguliertes Chorherrenstift geschaffen werden. Die Kurie willigte darin 1476 ein, 1477 wurde die Gütertrennung vollzogen.

Seither bestand in Sindelfingen eine – anfänglich sieben Mitglieder zählende – klosterähnliche Niederlassung von Augustiner-Chorherren der strengen Windesheimer Kongregation. Die Kanoniker Heinrich von Capella sowie Konrad von Wurmlingen sind als Verfasser einer Stiftschronik bekannt, die Einblicke in das damalige Leben innerhalb des Stiftes gibt, aber darüber hinaus auch das Leben im damaligen Sindelfingen reflektiert und dokumentiert. Zweifelsohne gehört die Chronik des Stifts zu den wertvollsten und wichtigsten Zeitdokumenten des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sindelfingens.

Sindelfingen zeichnung alt

Diese Chronik des Stifts ist sowohl für die Lokal- und Regionalgeschichte als auch für die Geschichte des religiösen Lebens von höchster Bedeutung: Unter den Chorherren des 15. Jahrhunderts finden sich etliche Gelehrte wie die Pariser Professoren Johannes von Bottwar oder Johannes Spenlin oder die Heidelberger Hochschullehrer Georg Schienlin, Konrad Menckler oder Johann Heckbach. Zudem war die Stiftskirche die Sindelfinger Pfarrkirche, sodass hier religiöses Leben in der Stadt durch geistliche Eliten rekonstruierbar wird: Zunächst versah wohl der Propst selbst die Pfarrei, doch wurde sie vermutlich bald einem Chorherren oder Vikar übertragen. Die Statuten von 1420 sprechen von Prozessionen durch den Kreuzgang des Stifts zum Chor und durch den Friedhof. Letztlich ist die Chronik auch für die Geschichte der Augustiner-Chorherren von großer Bedeutung, denn die Sindelfinger Chorherren wurden 1486 in die Bruderschaft der Augustiner-Chorfrauen von Inzighofen aufgenommen und verbrüderten sich 1490 mit den Augustinerinnen zu St. Ursula in Tübingen.

Bisweilen wurde die Chronik nur punktuell untersucht und im lateinischen Original transkribiert, jedoch noch in keiner kritischen Edition der Fachwelt zugänglich gemacht. Die Chroniken des Sindelfinger Stifts stellen zweifelsohne herausragende und fragmentarisch erhaltene Dokument dar, die aus diesem Grund in einem Forschungsvorhaben ediert, kritisch kommentiert und ausgewertet werden sollen.

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